No(o)-Dynamics: Mut zum Ganz-Sein

"A Drop of Sunshine"

Vor einigen Jahren habe ich an einem Konservatorium in Wien unterrichtet. Ich war damals gerade 28 Jahre und ich war als Pädagoge für Sologesang, Lied & Oratorium und Oper dabei mir eine Klasse aufzubauen. In meinem ersten Jahr als Lehrer inskribierte sich einen Studenten für Sologesang, nennen wir ihn Jay.
Er wurde von seiner Mutter oder seiner Schwester begleitet und warteten immer vor der Tür des Unterrichtszimmer bis ich heraus kam um Jay hinein zu lassen.
Jay sagte nicht viel. Er bevorzugte es im allgemeinen auf meine Fragen mit ein schüchternes Lächeln zu antworten. Schon bei den ersten Übungen bemerkte ich, dass Jay sich nicht natürlich verhielt und er große Schwierigkeiten hatte, die Übungen zu verinnerlichen und umzusetzen. So war es für ihm fast unmöglich eine kurze Gesangübung. einen Terzlauf rauf und runter zu singen auf "A", anschließend auf "O" und wieder auf "A", weil er seine Lippen nicht richtig bewegen konnte. Anfangs dachte ich, dass er wohl zu lang geschlafen hat oder nicht wirklich Lust hat diese Übungen zu machen.
Nach ca 3 Monaten (erst) ersuchte Jay's Schwester (nicht die Eltern!) um ein Gespräch und offenbarte mir, dass Jay an "Schizophrenie" und "Paranoia" leidet und er Neuroleptika in sehr hohe Dosierungen vorgeschrieben bekommt (weshalb er seine Lippen auch (fast) nicht bewegen kann!). Jay wird 24 Stunden am Tag von seiner Mutter und Schwester betreut. Nachdem ich diese Nachricht gehört hatte, war ich sehr bestürzt. Den Leidensweg dieser Familie und im speziellen Jay war eine wahre Odyssee.

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Intuitiv hatte ich zwar seit längere Zeit verstanden, dass Jay Probleme hatte, was ja nicht zu übersehen war. Aber das er an eine psychische Krankheit litt, die sein Leben und das seiner Familie so sehr beeinträchtigt, hatte ich nicht vermutet. Jedoch sah ich, dass das Singen ihm, obwohl kaum sichtbar, Erleichterung und Vergnügen bereitete. Das merkte ich daran, dass er immer wieder zur Stunde kam und er sich wirklich sehr viel Mühe gab.

Es wird später und an anderer Stelle Zeit sein, mehr über (Gesangs-)pädagogische Methodik und Didaktik zu reden. Ich habe Jay ca 2 Jahre unterrichtet, danach haben Jay, seine Familie und ich noch über 3 Jahren privat Kontakt gehabt. Ich durfte miterleben, dass Jay seine Medikamente bis auf ein Minimum hat reduzieren können, weiterhin musiziert und in seiner Heimat, zusammen mit seinem Vater, eine Musikschule leitet. Jay ist ein besonderer Mensch und ich habe großer Hochachtung vor ihm. Er hat, in der Zeit wo ich ihm hab kennen lernen und unterrichten dürfen, mein Leben sehr verändert. Jay, und Menschen wie ihm, die unter eine psychische Krankheiten leiden, sind ganz(heitlich) besondere Menschen. Sie verdienen es, dass man sie ernst nimmt und zuhört!

Als ich "A Drop Of Sunshine Part I - IV" auf YouTube sah, war ich zutiefst berührt von der Geschichte von Reshma und erkannte vieles wieder von dem, was ich mit Jay erlebt habe. Die Geschichten von Jay und Reshma sollen "Mut machen zum Ganz-Sein!"

Reshma, eine junge Frau von 30 Jahren, leidet an Schizophrenie.
Ihr Weg zurück in die Welt und ihre kontroversielle und undogmatische Art mit ihre Krankheitsbild umzugehen, sowie die Offenheit, womit sie über "ihre" Schizophrenie redet und die fundamentalen Erkenntnisse die Reshma aus diese Krankheit zieht, sind überwältigend.
Hier sehe ich die Aussagen Viktor Frankls auf beeinduckende Art und Weise bestätigt und ich empfinde tiefer Dankbarkeit gegenüber Reshma und ihre Familie.
Dankbarkeit, weil es ihren außergewöhnlichen Charakter und ihre rebellisches, nicht-konformistisches Wesen zu verdanken ist, dass wir Anteil nehmen können an etwas, das hoffentlich das Bild der Medizin, die Umgang mit Kranken und die Humanisierung der Medizin revolutionieren wird!Jeder Mensch ist Einmalig. Jeder Mensch hat das Recht und die Freiheit individuell, selbstbestimmt und innerhalb der eigenen Hochbegabung, sein/ihr Leben so zu gestalten, wie es unter der gegebenen Umständen am optimalsten ist. Unsere Aufgabe besteht darin, diese Möglichkeiten: Sinnoptionen, an den Tag zu fördern. Frankl These "Die Menscheit leidet am sinnlosen Leben" hat hier auch Relevanz: Reshmas Medikamentöse und psychiatrische Behandlung (Top-Down Behandlung, starke Psychopharmaka) machten sie Handlungsunfähig, Gedanken- und Antriebslos, kurz: sie war zur Untätigkeit verdammt und damit wurde alles sinnlos und Bedeutungslos.

Es gibt einen (Aus-)Weg!
Welche?
Wie?
Schau Rein!

"A Drop Of Sunshine Part I"